Solidarität! Aber nicht für alle. Frauen in der Covid-19-Krise

Wie die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie geschlechtsspezifische Diskriminierung verschärfen und welche historischen Traditionen dadurch erkennbar werden.

Die Politik spricht von Solidarität, doch wird es von Monat zu Monat offensichtlicher, für wen diese bestimmt ist und für wen nicht. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus führen zur Verstärkung der Doppelbelastung von Frauen. Die angespannte Situation sowie der von der Politik kommunizierte Begriff von Solidarität schließen einen Dialog über die fehlende Chancengleichheit aus. Frauen und deren Diskriminierung werden erneut zu Gunsten eines patriarchalen Machtsystems hintenangestellt.

Solidarität: Was meint das “Virologische Quartett” damit?

Quelle: Instagramaccount bundeskanzleramt.gv.at, Regierungskampagne “Schau auf dich”, online unter: <https://www.instagram.com/p/B-_iHAcFNI9/> (27.03.2021)

Als auf einer Pressekonferenz der Regierung am 13. März 2020 der erste Lockdown angekündigt wurde, appellierte Bundeskanzler Sebastian Kurz mit folgenden Worten an die Solidarität der Bürger*innen:

“Es ist eine Zeit, wo wir alle zusammenstehen, um vor allem die älteren Menschen in unserem Land zu schützen. Jeder einzelne hat eine Verantwortung. Wir sind als Republik Österreich ein Team. Ein Team in dem jeder seinen Beitrag zu leisten hat, gerade in einer herausfordernden Situation.” [1]

An diesem Zitat lässt sich erkennen, dass der von der Regierung geprägte Solidaritätsbegriff in erster Linie im Bezug auf Gruppen, die durch das Virus besonders gefährdet sind, angewendet wurde. Die Sorge vor sozialen Auswirkungen, die die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mit sich bringen könnten, hat in diesen Solidaritätsdiskursen zunächst keinen Widerhall gefunden. In dem vorliegenden Beitrag wollen wir uns mit der Marginalisierung und Stigmatisierung von Frauen in Zeiten der Pandemie beschäftigen. Ein Fehlen der weiblichen Perspektive könnte allein in der Besetzung des sogenannten Virologischen Quartetts verortet werden: Neben dem Bundeskanzler verkündeten Gesundheits- und Sozialminister Rudolf Anschober, Innenminister Karl Nehammer sowie der Vizekanzler Werner Kogler gemeinsam die jeweils nächsten Schritte zur Eindämmung der Pandemie. Die Ministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration trat dabei jedoch nie in Erscheinung. Auch das Titelbild der „Schau auf mich, Schau auf Dich-Kampagne” der Regierung lässt auf die Abwesenheit einer weiblichen Sichtweise schließen. Darauf ist eine Mutter abgebildet, die in einem geräumigen, hellen Zimmer Homeoffice und Homeschooling in harmonischen Einklang bringt. Dieses Bildmotiv gibt nicht nur die Lebensbedingungen der Bevölkerung nicht realistisch wieder. Es reproduziert auch eine konservative Rollenverteilung, wonach Kindererziehung noch immer als weibliche Aufgabe gesehen wird. Als im Herbst erneute Maßnahmen gegen die steigenden Infektionszahlen verkündet wurden, war die Lage von Frauen, die durch Schulschließungen einer starken Doppelbelastung ausgesetzt waren, vereinzelt thematisiert worden. Letztendlich wurden die Schulen dann erneut geschlossen, jedoch wurde angekündigt, dass die Möglichkeiten zur Kinderbetreuung verbessert werden:

“Und gerade denke ich da auch, weils die Frauen, so ist es nun leider immer noch, besonders betrifft, denke ich da natürlich auch an die vielen Frauen die im Lebensmittelhandel arbeiten. …. Sie sollen sich dann um ihre Kinder keine Sorgen machen müssen.” [2]

Diese Aussage von Werner Kogler auf der Pressekonferenz am 14. November 2020 dürfte als Reaktion auf die Kritik im Vorfeld zu verstehen sein. Das Zitat zeigt aber auch, dass sowohl Berufe im Lebensmittelhandel als auch die Kinderbetreuung noch immer weiblich konnotiert sind.

Ungleichheit der Geschlechter in Österreich im 20. Jahrhundert

Die Probleme, welche sich heute in der Covid-19-Krise abzeichnen, haben eine Vorgeschichte in der österreichischen Gesellschaft. Der Solidaritätsdiskurs, in welchem die Dimension der Geschlechterdiskriminierung ignoriert und sogar gefördert wird, verweist auf die historische Tradition, frauenpolitische Themen hintanzustellen. Die Zuschreibung der Care-Arbeit im Bezug auf Familie und Kinderbetreuung zu Frauenarbeit zeichnet sich hier als besonders schwierig ab. Seit Beginn des 20.Jh. kämpfen Feminist*innen für das Aufbrechen der im Bürgertum entstandenen Geschlechterkonstruktionen, welche Frauen entmachtet. So wurden immer wieder Themen wie faire Löhne, Wahlrecht, aber auch Schwangerschaftsabbruch und das Selbstbestimmungsrecht auf Körper und weibliche Sexualität zum Thema politischer Debatten gemacht. Mit der sogenannten Ersten Frauenbewegung konnte 1918 in Österreich das Frauenwahlrecht erkämpft werden. Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, in welchem die finanzielle Verantwortung für Familie oft alleine von Frauen getragen werden musste, hatte zur Forderung nach politischer Ermächtigung geführt. Die kulturell konstruierten Geschlechtervorstellungen konnten jedoch trotz Wahlrecht nur schwer verändert werden. Die in der Arbeiterklasse entstandene Frauenbewegung versuchte durch Aufklärung und Beratung der aufsteigenden Eugenik, also der Fremdbestimmung von Reproduktion, entgegen zu wirken. In der bald durch die Nationalsozialisten radikalisierten Eugenik blieben die Bemühungen der Feminist*innen aber weitestgehend ungehört. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges geriet die Frage nach der Erwerbstätigkeit der Frauen und ihren Löhnen erneut in den Hintergrund, die SPÖ setzte ihre Prioritäten vorerst auf den Wiederaufbau und die Aussöhnung mit der katholischen Kirche. Damit waren die Fragen nach Selbstbestimmung des weiblichen Körpers und den dazugehörigen Geschlechterkonstruktionen schlichtweg nicht kompatibel. Mit dem Kampf um das Abtreibungsrecht versuchten Feminist*innen die patriarchale Rollenverteilung aber immer wieder zu thematisieren.

Erst durch die Zweite Frauenbewegung gelang es dann jedoch frauenpolitische Themen sichtbar zu machen. Der Slogan “Das Private ist politisch” brach die Dichotomie des männlich bestimmten öffentlichen Raumes und des weiblich gedachten privaten Raumes auf. Ein Sinnbild dafür waren die auf Demonstrationen zur Lärmerzeugung genutzten Küchengeräte – so wurde der häuslichen Gegenstand zu einem politischen gemacht. Nun wurden endlich die Themen der strukturellen Diskriminierung und die entmächtigenden Geschlechterkonstruktionen zur politischen Debatte. Der "Bielefelder Ansatz", welcher die Bezahlung von Reproduktionsarbeit verlangte, versuchte die Care-Arbeit aufzuwerten und die Ungleichheit sichtbar zu machen.

Dieser konnte jedoch nicht umgesetzt werden. Ein Erfolg der Frauenbewegung wurde jedoch die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Monaten. Dieser wurde von der SPÖ 1975 durchgesetzt. Auch schaffte es die SPÖ im selben Jahr die Familienrechtsreform zu verwirklichen. So konnte die Vorherrschaft des Ehemannes abgeschafft und die Ehe als gleichberechtigte Partnerschaft anerkannt werden. Leider verlor die Frauenbewegung mit Ende der 1970er Jahre an Aufmerksamkeit und weitere Forderungen gerieten erneut in den Hintergrund. Trotz des Versuchs frauenpolitische Themen in die Politik einzubringen, stehen wir in der Covid-19-Krise erneut vor einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Was lief also schief in der politischen Umsetzung von Gleichberechtigung?

Österreichische Frauenpolitik auf dem Weg zur Gleichberechtigung?

Die Auswirkungen der Frauenbewegungen lassen sich besonders in der Sozialpolitik erkennen. Denn diese dient nicht allein der Absicherung von sozialen Risiken, sondern trägt immer auch zur Regulierung der Geschlechterverhältnisse bei. Charakteristisch für das österreichische Sozialsystem ist die Sozialversicherung, die zum großen Teil durch einkommensabhängige Beiträge der Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen finanziert wird. Dieses „Male Breadwinner-Modell“ orientiert sich noch immer an der Arbeitsmarktbeteiligung und trägt somit zu einer Förderung traditioneller Familienformen bei. Nach der Familienrechtsreform 1975 wurden zwar einige Neuregelungen getroffen, die zur formalen Gleichberechtigung der Geschlechter beitragen sollten, weil aber keine zusätzlichen Kosten entstehen durften, kam es tatsächlich häufig zu Verschlechterungen für Frauen, deren faktisch-materielle Benachteiligung nie ausreichend berücksichtigt wurde. Darunter fallen zum Beispiel die Einführung der Witwerpension, die Neuregelung des Notstandshilferechts und Karenzurlaubsgesetzes, oder die Angleichung des Pensionsantrittsalters. Österreichische Frauenpolitik bewegt sich seither im Spannungsfeld zwischen formaler Gleichberechtigung, faktisch-materieller Ungleichheit und Austerität.

Frauen werden verstärkt dazu angehalten sich durch Erwerbsarbeit selbst abzusichern. Das zeigt sich auch an einer gesteigerten Erwerbsquote von mittlerweile fast 70%, davon entfallen aber fast die Hälfte auf Teilzeitarbeit, was ein Grund dafür sein dürfte, dass der durchschnittliche Verdienst von Frauen rund 20% geringer ist als bei Männern. Der Mangel an Pflege- und Kinderbetreuungseinrichtungen kommt erschwerend hinzu und führt zu einer Doppelbelastung, die wiederum Frauen am stärksten betrifft. Es stellt sich also die Frage, ob höhere Erwerbsquoten allein der richtige Weg sind, um Ungleichheiten vollständig zu beseitigen. Gewisse Annäherungen können dadurch zwar erreicht werden, die „männlichen Erwerbsarbeit“ wird dabei aber immer als erstrebenswerte Norm propagiert und die „weibliche Versorgungsarbeit“ als Differenz. Das ist sicher mit ein Grund dafür, dass trotz schwacher Versuche auch Männer einzubinden der überwiegenden Anteil der unbezahlten Care-Arbeit noch immer von Frauen getragen wird.

Covid-19-Maßnahmen: Kontinuitäten der Geschlechterungerechtigkeit

Diese Tendenz zur Benachteiligung von Frauen zeigt sich besonders in Krisenzeiten und lässt sich daher auch an den Covid-19-Maßnahmen des ersten Lockdowns feststellen: 

Um das Virus einzudämmen, erließ die Regierung im März 2020 Ausgangsbeschränkungen. Schulen und Kindergärten mussten ihre Tore schließen und Kurzarbeitspakete wurden verabschiedet. Dabei wurde ein (Groß-)Teil der Bevölkerung aus den Augen verloren: Die Frauen. Denn besonders die weibliche Bevölkerung litt unter den Maßnahmen des ersten Lockdowns. Eine Studie der Universität Wien zeigte, dass Frauen im März 2020 signifikant unzufriedener waren – 2018 galten Frauen noch als etwas zufriedener als Männer. Gründe könnten die hohen Belastungen im Haushalt und der Kinderbetreuung sein, so die Forschung. Frauen übernahmen nämlich auch in der Pandemie einen Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung, auch in Familien mit identischem Erwerbsausmaß beider Eltern. Der Rückzug ins „traute“ Heim äußerte sich nicht nur als Mehrbelastung: Expert*innen wiesen auf die Zunahme von Gewalt gegen Frauen hin, bedingt durch fehlende Kontaktmöglichkeiten mit Beratungs- und Betreuungsstellen. 

Zudem zeigen Studien, dass der erste Lockdown Frauen vor größere finanzielle Schwierigkeiten als Männer stellte. Die allgemeine Tendenz zur weiblichen Armutsgefährdung verstärkte sich, denn Frauen waren überproportional von Jobverlusten betroffen. 

Care- und Reproduktionsarbeit wird also noch immer nicht, weder in finanzieller noch sozialer Hinsicht, als gleichwertige Arbeit anerkannt. Die Dichotomie des Öffentlichen und Privaten wurde nicht behoben, eher ist das Öffentliche durch Homeoffice ins Private eingedrungen und hat somit die Doppelbelastung für Frauen verstärkt und auch zu vermehrter häuslicher Gewalt geführt. Finanzielle Abhängigkeiten und andere Diskriminierungsformen haben sich durch den Maßnahmenkatalog noch einmal vertieft, da es sich im Familienverbund beispielsweise eher lohnt, wenn die Väter – mit tendenziell besser bezahlten Jobs – arbeiten gehen, während alleinerziehende Mütter Gefahr laufen zu verarmen. Auch bei der von der Regierung geprägten Verwendung des Solidaritätsbegriffes werden Frauen – und die Diskriminierung, die sie im Zuge der Lockdowns erleiden – ausgeklammert. Sichtbar sind sie, wie die “Schau auf mich schau auf dich” Kampagne zeigt, nur als Mutter, deren Arbeit scheinbar leichter mit Kinderbetreuung zu vereinen ist.

Verweise

  • [1] Bundeskanzleramt, Pressekonferenz 13.03.2020, COVID-19. In: YouTube (13.03.2020), online unter <a href="https://www.youtube.com/watch?v=oqAFfvNkGiM" target="_blank">www.youtube.com/watch</a> (19.01.2021).
  • [2] Bundeskanzleramt, Pressekonferenz zu notwendigen Maßnahmen um die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. In: YouTube (16.11.2020), online unter <a href="https://www.youtube.com/watch?v=xluDeHGD_PQ" target="_blank">www.youtube.com/watch</a> (19.01.2021).

Auswahlbibliographie

  • Martina Beham-Rabanser, Berghammer Caroline, Wo bleibt die Zeit? Bezahlte und unbezahlte Arbeit von Frauen und Männern in der Corona-Krise. In: Corona-Blog, online unter: <a href="https://viecer.univie.ac.at/corona-blog/corona-blog-beitraege/blog57/" target="_blank">viecer.univie.ac.at/corona-blog/corona-blog-beitraege/blog57/</a> (15.12.2020).
  • Julia Bock-Schappelwein, Walter Hyll, COVID-19 Pandemie: Beschäftigungssituation für Frauen schwieriger. In: WIFO Research Briefs 9/2020, online unter: <a href="https://www.wifo.ac.at/jart/prj3/wifo/resources/person_dokument/person_dokument.jart?publikationsid=66188&amp;mime_type=application/pdf" target="_blank">www.wifo.ac.at/jart/prj3/wifo/resources/person_dokument/person_dokument.jart</a> (27.01.21).
  • Johanna Gehmacher, Maria Mesner, Land der Söhne. Geschlechterverhältnisse in der Zweiten Republik. (Innsbruck/Wien 2007).
  • Karin Heitzmann, August Österle. Lange Traditionen und neue Herausforderungen: Das österreichische Wohlfahrtssystem. In: Europäische Wohlfahrtssysteme: ein Handbuch, 1. Aufl., 47–70. (Wiesbaden 2008).
  • Richard Haindorfer, Corona macht unzufrieden! Frauen aktuell mit ihrem Leben unzufriedener als Männer. In Corona-Blog, online unter: <a href="https://viecer.univie.ac.at/corona-blog/corona-blog-beitraege/blog16/" target="_blank">viecer.univie.ac.at/corona-blog/corona-blog-beitraege/blog16/</a> (15. Dezember 2020).
  • Elisabeth Hammer, August Österle. Neoliberale Gouvernementalität im österreichischen Wohlfahrtsstaat. (Wien 2002).
  • Beate Hausbichler, Regierungskampagne Schau auf dich. Das sind wir nicht. In: Der Standard, 30.04.2020, online unter: <a href="https://www.derstandard.at/story/2000117181940/regierungskampagne-scha" target="_blank">www.derstandard.at/story/2000117181940/regierungskampagne-scha</a> u-auf-dich-das-sind-wir-nicht (18.01.2021).
  • Ingrid Mairhuber, Geschlechterpolitik im Sozialstaat Österreich seit Anfang der 80er Jahre. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (Wien 1999).
  • Maria Mesner, Verna Pawlowsky, Kinder kriegen als historisches Thema. In: Johanna Gehmacher (Hg.), Maria Mesner (Hg.), Frauen und Geschlechtergeschichte. Positionen/Perspektiven. (Innsbruck/Wien 2003).