Covid, Krisen, Konspirationen

Verschwörungstheorisches Impfgegnertum und Othering in Zeiten von Seuchen

Die Covid-19-Pandemie stellt Individuen und Gesellschaften vor große Herausforderungen. Eine der gesellschaftlichen Reaktionen auf diese Herausforderungen ist die steigende Verbreitung von Verschwörungstheorien. Laut Studien glaubt ein Drittel bis die Hälfte aller in Österreich Lebenden an mindestens eine Verschwörungstheorie. [1] Schienen diese bisher Phänomene sozialer Randgruppen zu sein, die sich etwa in Internetforen, Sekten oder anderen Rückzugsräumen formierten, rücken sie nun im Kontext der Krise in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses. Historisch betrachtet sind Verschwörungstheorien aber keine Neuheit: Entgegen dem ersten Anschein erleben sie durch die Digitalisierung – das Internet erleichtert die Vernetzung von Verschwörungstheoretiker*innen maßgeblich – lediglich einen Aufschwung und erhalten mehr Sichtbarkeit. [2] Anlass genug einen Rückblick zu wagen: Sind heutige Verschwörungstheorien mit jenen früherer Seuchen vergleichbar?

Einfache Antworten – komplexe Fragen

Die Existenz einer vermeintlichen Verschwörer*innengruppe ist zentraler Bestandteil aller Verschwörungstheorien. Dem verschwörungstheoretischen Denken liegen, nach einer einschlägigen Definition, drei Annahmen zugrunde[3]:

1.) Nichts geschieht durch Zufall.

2.) Nichts ist, wie es scheint.

3.) Alles ist miteinander verbunden.

Die behaupteten Verschwörungen sind oft schon sehr alt, seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten in Gang. Sie basieren auf einem Geschichtsbild, das davon ausgeht, "dass Geschichte plan- und kontrollierbar" [4] sei. Verschwörungstheorien bieten einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen und suggerieren ihren Anhänger*innen genau dort vermeintliche Sicherheit, wo Ungewissheit die Debatte stets begleitet – heute etwa bei Fragen nach neuen Impfstoffen, der Herkunft eines Virus’ oder damit einhergehenden gesundheitspolitischen Maßnahmen. Großen Zulauf erfahren in Zeiten von Seuchen verschwörungstheoretische Impfgegner*innen, die sich u.a. durch ihre unwissenschaftliche Kritik von anderen Vertreter*innen des Impfgegnertums unterscheiden.

„Die Impfung will krank machen“

Kla.tv

Ddo, Ist der Corona-Impfstoff eine größere Gesundheitsgefahr als die Erkrankung selbst?, Klagemauer.tv, URL: www.kla.tv/Impfen/17554 (13.1.2021).

(CC BY 3.0 CH, Klagemauer.tv)

Die Website kla.tv etwa, gegründet durch die Sekte "Organische Christus-Generation", versteht sich als aufklärende Instanz gegenüber dem Feindbild einer "gleichgeschalteten Lügenpresse". Gleichzeitig bedient sie sich jedoch der Ästhetik klassischer Nachrichtenformate, um Seriosität zu suggerieren. Mit falschen Belegen, emotionalisierender Sprache und reißerischer Berichterstattung wird verschwörungstheoretisches Impfgegnertum verbreitet. Die Kernaussage: Impfungen verstärkten Krankheiten. Das hat Tradition: In Folge der Entdeckung der Kuhpockenimpfung zum Ende des 18. Jahrhunderts fanden im deutschsprachigen Raum erstmalig großangelegte Impfaktionen gegen Pocken statt. Impfgegner*innen formierten sich schon damals, um "Horrormeldungen" über Impffolgen zu verbreiten. [5] Die Monatsschrift "Der Impfgegner", herausgegeben vom "Deutschen Reichsverband zur Bekämpfung der Impfung", diente seit 1883 als Organ deutscher Impfgegner-Vereine, die sich zu großen Teilen aus Ärzten und Gebildeten zusammensetzten. Damals wie heute wurden Themen wie "Impfzwang" oder "Impffreiheit" debattiert. "Der Impfgegner" ging so weit zu behaupten: "Durch Impfen wird die Gesundheit von Millionen untergraben. Die Impfung will krank machen." [6] Er suggerierte damit eine gegen die Bevölkerung gerichtete Verschwörung: Der Staat (oder ein anderes Feindbild) wolle die Menschen "zwangsimpfen". Diese Behauptung bildet pandemiehistorisch einen Fixpunkt verschwörungstheoretischer Argumentation, von der Erfindung der Impfung bis heute.

Die Schuld der Anderen

Übersetzung: „Das Bazillomarino. Ein Verbündeter der Mittelmächte“. Felipe B. Correa, The Readership of Caricatures in the Brazilian Belle Époque. The Case of the Illustrated Magazine Careta (1908-1922), in: Patrimônio e Memória 8 (2012) 1.

Ein weiteres Motiv ist die Schuldzuweisung an Andere: Verschwörungstheorien machen gewisse Gruppen, die Verschwörer*innen, für negativ konnotierte Ereignisse verantwortlich. Oft handelt es sich bei diesen Gruppen um gesellschaftlich bereits vorhandene "Konstruktionen von Anderen", dies kann als verschwörungstheoretisches Othering bezeichnet werden. Es wird genutzt, um die Plausibilität von Verschwörungstheorien zu erhöhen - eine weitverbreitete Strategie, derer sich etwa Donald Trump in seiner Amtszeit als Präsident der USA bediente. Er bezeichnete Covid-19 als "China Virus" und griff eine bereits über das Virus kursierende Verschwörungstheorie auf: die Behauptung, das Coronavirus sei als chinesische Biowaffe aus einem Labor in Wuhan ausgetreten. Trump nutzte diese Bezeichnung, obwohl Kritiker*innen von Beginn an vor der aus diesem Othering resultierenden Zunahme von Rassismus und Xenophobie gegenüber asiatisch-amerikanischen Staatsbürger*innen warnten. Durch seine politische Position und enorme Reichweite (nicht nur) in sozialen Medien fungierte Trump als Multiplikator dieser Verschwörungstheorie.

Auch hier betreten Verschwörungstheoretiker*innen heute kein Neuland: Ein plakatives Beispiel für historisches verschwörungstheoretisches Othering ist das "Bacillomarino", eine am 15. Oktober 1918 in der brasilianischen Satirezeitschrift "A Careta" erschienene Karikatur. Diese zeigt ein U-Boot, dessen Besatzung, ein Skelett in kaiserlich-deutscher Marineuniform, die "Influenza Hespanhola" ("Spanische Grippe") als Waffe mitführt. Die Karikatur spielt auf eine zeitgenössische Verschwörungstheorie an, der zufolge die Deutschen die "Spanische Grippe" als Waffe einsetzten, und mittels U-Booten nach Amerika importierten. Insbesondere in den USA war diese Verschwörungstheorie sehr verbreitet, es wurde sogar davon ausgegangen, der Erreger der Influenza, A/H1N1, sei eine eigens zu diesem Zweck erzeugte biologische Waffe. [7] Ursache und Verantwortung für die Pandemie wurden so einem "Anderen" zugeschoben – eine historische Konstante.

Auf den Punkt gebracht

Verschwörungstheorien erleben in Krisenzeiten Hochkonjunktur. Das hängt heute auch mit dem Erstarken populistischer Bewegungen zusammen, die in ihrer Argumentationsweise strukturelle Parallelen zu Verschwörungstheorien aufweisen. Die Gegenüberstellung unserer Quellen zeigt, dass das Medium zur Verbreitung konspirativer Inhalte im historischen Vergleich gänzlich unterschiedlicher Natur sein kann. Die "vorherrschende mediale Konstellation" [8] – vom Buchdruck bis zur Digitalisierung – spielt für Verschwörungstheorien eine wesentliche Rolle.

Sind heutige Verschwörungstheorien also mit jenen früherer Seuchen vergleichbar?

Verbreitungsformate und -kanäle sind durchaus verschieden: Von Artikeln zu Videoformaten, von Zeitungen zu Social Media-Accounts – dies liegt natürlich vordergründig am medialen Wandel. Auch hat sich die Außenwahrnehmung von Verschwörungstheorien nach 1945 verändert. Sie wurden von einer breiteren Öffentlichkeit zunehmend kritisch betrachtet und ihre Anhängerschaft stigmatisiert. Inhaltlich aber gehen Verschwörungstheoretiker*innen früher wie heute mit aggressiver Rhetorik gegen die imaginierten Verschwörungen vor. Konspirative Impfgegner richten sich dabei meist gegen den Staat oder andere mit Macht assoziierte Akteure, wie etwa die Pharmaindustrie. Gewisse Verschwörungstheorien "kämpfen" außerdem gegen einen konstruierten "Anderen", dem die Verantwortung für die Seuche zugeschoben wird. Gemein ist ihnen, ebenfalls eine historische Kontinuität, die Argumentation mit falschen Belegen, irreführenden Tatsachenberichten und emotionalisierender Sprache. Damals wie heute gilt es, die Menschheit "aufzuwecken", denn die größte Gefahr geht für Verschwörungstheoretiker*innen nicht von der Pandemie aus, sondern von der Verschwörung.

Verweise

  • [1] Vgl. Klaus Oberhauser, Die Krise als verschwörungstheoretische Versuchung. Vortrag vom 26.11.2020 im Rahmen der Tagung: Corona verstehen. Die Pandemie aus der Sicht der Geistes und Kulturwissenschaften, 25.-27.11.2020 Innsbruck, (online unter <a href="https://www.uibk.ac.at/congress/corona-verstehen/panels/panel-7.html" target="_blank">www.uibk.ac.at/congress/corona-verstehen/panels/panel-7.html</a> 24.02.2021).
  • [2] Michael Butter, &quot;Nichts ist, wie es scheint&quot;. Über Verschwörungstheorien (Berlin 2018) 180.
  • [3] Michael Barkun, The nature of conspiracy belief. In: A Culture of Conspiracy. Apocalyptic Visions in Contemporary America (Berkeley 2013) 1–14. Zit. n. Butter, Nichts, 22.
  • [4] Butter, Nichts, 28.
  • [5] Hanna Ronzheimer, Impfgegner vor 200 Jahren, ORF, 12.10.2020, (online unter <a href="https://science.orf.at/stories/3202247" target="_blank">science.orf.at/stories/3202247</a> 24.02.2021).
  • [6] Anonymer Autor, Allerhand Widersprüche und Ungereimtheiten in Impflehre und Impfgesetz. In: Horst Sieber [Verlag und Hauptschriftleitung], Der Impfzwanggegner 37 (01.06.1919) 6, 28.
  • [7] Jörg Albrecht, Als die Welt im Fieber lag, Frankfurter Allgemeine, 6.3.2018, (online unter <a href="https://www.faz.net/aktuell/wissen/spanische-grippe-wie-eine-epidemie-gesellschaften-veraenderte-15479161.html" target="_blank">www.faz.net/aktuell/wissen/spanische-grippe-wie-eine-epidemie-gesellschaften-veraenderte-15479161.html</a> 24.02.2021).
  • [8] John D. Seidler, Die Verschwörung der Massenmedien. Eine Kulturgeschichte vom Buchhändler-Komplott bis zur Lügenpresse (Bielefeld 2016) 318.

Auswahlliteratur

  • Michael Butter, “Nichts ist, wie es scheint”. Über Verschwörungstheorien (Berlin 2018).
  • Alfred W. Crosby, America’s Forgotten Pandemic, The Influenza of 1918 (Cambridge 2003).
  • Angela R. Gover/Shannon B. Harper/Lynn Langton, Anti-Asian Hate Crime During the COVID-19 Pandemic: Exploring the Reproduction of Inequality. In: American Journal of Criminal Justice 45 (2020) 4, 647–667.
  • Robert Jütte, Zur Geschichte der Schutzimpfung, Bundeszentrale für politische Bildung Deutschland, 06.11.2020, online unter &lt;https://www.bpb.de/apuz/weltgesundheit-2020/318298/zur-geschichte-der-schutzimpfung&gt; (24.02.2021).
  • Eckard Michels, Die Spanische Grippe 1918/19, Verlauf, Folgen und Deutungen in Deutschland im Kontext des Ersten Weltkrieges. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010) 1, 1–33.
  • Vgl. Klaus Oberhauser, Die Krise als verschwörungstheoretische Versuchung. Vortrag vom 26.11.2020 im Rahmen der Tagung: Corona verstehen. Die Pandemie aus der Sicht der Geistes- und Kulturwissenschaften, 25.-27.11.2020 Innsbruck, online unter &lt;https://www.uibk.ac.at/congress/corona-verstehen/panels/panel-7.html&gt; (24.02.2021).
  • Christine Riegel, Bildung - Intersektionalität - Othering. Pädagogisches Handeln in widersprüchlichen Verhältnissen (Bielefeld 2016).
  • John D. Seidler, Die Verschwörung der Massenmedien. Eine Kulturgeschichte vom Buchhändler-Komplott bis zur Lügenpresse (Bielefeld 2016).
  • Zachary Smith, Age of fear. Othering and American identity during World War I (Baltimore 2019).
  • Martin Tschiggerl, Wahrheiten mit Fakten bekämpfen. In: Public History Weekly 8 (2020).

Quellen (Kurzfassung)

  • Deutscher Reichsverband zur Bekämpfung der Impfung (Hg.), Der Impfgegner/Der Impfzwanggegner 1890-1919.
  • Bacillomarino, A Careta 14 (537) 5.10.1918, 13, online unter &lt;http://memoria.bn.br/DocReader/docreader.aspx?bib=083712&amp;pasta=ano%20191&amp;pesq=&amp;pagfis=20554&gt; (24.02.2021).
  • The Birmingham News, Birmingham Alabama, 22.10.1918, 3, online unter &lt;https://www.newspapers.com/image/?clipping_id=62672249&amp;fcfToken=eyJhbGciOiJIUzI1NiIsInR5cCI6IkpXVC&gt; (24.02.2021).
  • The Birmingham News, Birmingham Alabama, 21.10.1918, 5, online unter &lt;https://www.newspapers.com/clip/62672419/the-birmingham-news/&gt; (24.02.2021).
  • The Fort Wayne News and Sentinel, Indiana, 26.9.1918, online unter &lt;http://www.colorantshistory.org/SpiesDyes2.html&gt; (01.12.2020) bzw. online unter &lt;https://www.newspapers.com/newspage/34054105/&gt; (24.02.2021).
  • Trump White House Archived, President Trump Addresses the Nation, YouTube, 12.03.2020, online unter &lt;https://www.youtube.com/watch?v=6a1Mdq8-_wo&gt; (24.02.2021).
  • Donald Trump Rally Speech Transcript Reading, PA October 31, Rev, 31.10.2020 online unter &lt;https://www.rev.com/blog/transcripts/donald-trump-rally-speech-transcript-reading-pa-october-31&gt; (24.02.2021).
  • Remarks by President Trump in Press Briefing Bedminster, NJ, The White House, 08.08.2020, online unter &lt;https://trumpwhitehouse.archives.gov/briefings-statements/remarks-president-trump-press-briefing-bedminster-nj/&gt; (24.02.2021).
  • #Impfen, Klagemauer.tv, online unter &lt;https://www.kla.tv/Impfen&gt; (24.02.2021).